Donnerstag, 4. Juli 2013

Die Schönheit der Chance

Es gibt Gerüche die wecken sofort Erinnerungen. Wenn ich zum Beispiel Zimt rieche denke ich immer daran wie ich meine Oma als kleines Kind in ihrer Backstube besucht habe. Bei dem Geruch von Leder erinnere mich mich oft an den allerersten Sattel den ich besaß. Ich habe nie in meinem Leben ein Pferd geritten. Ich habe festgestellt das ich Angst vor Pferden habe, aber ich liebe immer noch Sättel.

Leider kann man nicht alle Gerüche mit positiven Erinnerungen verbinden, weil sie eben ganz speziell sind. Der Geruch von Krankenhäusern zum Beispiel erinnert mich nur an eine Sache: Krankenhäuser. Es ist von jeher diese Mischung aus Desinfektionsmittel, Crocs-Sohlen-Gummiabrieb und Großkantinenessen die mich innerlich erschaudern lässt. 

Magnetresonanztomographie. Ich liebe solche vielsilbigen Wörter, das schönste mir bekannte vielsilbige Wort ist aber immer noch достопримечательность
(Dostoprimelschatjestnoch) zu deutsch Sehenswürdigkeit und gleichzeitig das einzige russische Wort was ich noch in kyrillischer Schreibweise beherrsche.
Worte können auch Erinnerungen vorrufen, aber nicht jetzt. Nicht jetzt wo ich hier vor dem MRT stehe.

Die Röhre erinnert mich an eine Mischung aus Flugzeugturbine und Warp-Kern der Enterprise. Je länger ich auf diese Maschine starre um so mehr kommen mir Zweifel ob mein Körper dort wirklich hinein in dieses 60 cm große Loch passt. Innerlich hoffe ich sogar das mein Körper jetzt ohne ersichtlichen Grund anschwillt damit er nicht hinein passt.

Mit mir im Raum ist der durchführende Assistenzarzt. Er heißt Charly. Zumindest stelle ich mir vor das er Charly heißt. Ich gehe gerne durch volle Fußgängerzonen, beobachte dabei einzelne Menschen ganz gezielt und überlege mir welchen Namen sie wohl haben.

Ich lege mich in Unterwäsche auf die Auflage, sie fühlt sich kalt an, die kleinen Härchen an meinen Armen stehen in Hab-Acht-Stellung. Vom Kopf her ist es unangenehm, der Nacken verspannt sich, man legt mir noch ein kleines Kissen unter den Kopf, aber mehr geht nicht. Charly gibt mir eine Art Ball in die linke Hand, den ich wenn irgendetwas ist, drücken soll. Neugierig wie kleines Kind drücke ich direkt drauf - es passiert nichts.

"Sie müssen fester zudrücken" sagt der Assistentsarzt. " Das letzte Mal das mir ein Mann gesagt hat das ich fester zudrücken soll während ich einen seiner Bälle in der Hand halte ist schon ein paar Jahre her" antworte ich. Er lacht, ich nicht. 

Dann werde ich langsam in die Röhre hinein geschoben. Die Fahrt kommt mir wie eine Ewigkeit vor und für einem Moment kann ich nicht unterscheiden ob die lauten Klopfgeräusche von meinem Herz oder vom MRT kommen. Während der Messungen herrscht in der Röhre ein ziemlicher Radau unterschiedlicher Intensität. Mal klingt es so wie eine Alarmsirene in Science-Fiction-Filmen, mal wie Musik der australischen Aborigines dazwischen herrschen immer mal kurze Pausen, in denen ich mich bewegen darf. "Sie haben gewackelt." Kunststück, die Liege hat angefangen zu vibrieren. Ich versuche meinen Körper mit aller Kraft starr werden zu lassen.

Nie im Leben zuvor haben sich 15 Minuten so lang angefühlt. Ich bin froh das ich die Röhre jetzt verlassen kann. Ich gehe zurück in die Kabine und ziehe meine Klamotten wieder an. Endlich wieder ein Stück Vertrautheit.

Der Weg aus dem Untersuchungsraum zurück vor die Pforten des Krankenhauses zieht sich wie Rolltreppe die man in die verkehrte Richtung benutzt.

"Hallo Welt und Goodbye Krankenhausgeruch" rufen meine Bronchien. Ich belohne sie für Ihre Tapferkeit mit ein paar tiefen Zügen an der Zigarette. Ich setze die Kopfhörer auf, schalte die Musik ein bewege mich tanzend davon zu den Zeilen von Tomte:

Die Schönheit der Chance, 
Dass wir unser Leben lieben 
So spät es auch ist... 
Das ist nicht die Sonne die unter geht, 
Sondern die Erde die sich dreht

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen