Hallo ich bin Fran Niclas und das hier ist mein Blog

Montag, 11. April 2016

Gezeiten der Veränderung




Vielleicht doch lieber mit Haarreif? Oder ich probier' es doch mit der roten Spange.

Seit 15 Minuten stehe ich im Bad vor dem Spiegel und bemühe mich zu verdecken was sich nicht verdecken lässt. Eine ganze Strähne grauer Haare. Auf einmal war sie da, als wäre ihr über Nacht die Farbe entzogen worden und unweigerlich schiebt sich das Bild von toter Erde auf der die Blumen verdorren in meine Gedanken. Mit 36 also, das war 's dann also mit der Jugend. Natürlich nur der äußeren Jugend. Man ist schließlich so nur so alt wie man sich fühlt. Doch was macht man, wenn das gefühlte Alter das körperliche Alter weit übersteigt?

Meine Gehirn ist müde geworden, müde von den täglichen Eindrücken die es verarbeiten muss. Müde ob der großen Anzahl, die ein wirkliches Zur Kenntnis nehmen unmöglich machen. Mit den Jahren wurden die Lichtblitze für Besonderes rarer, zumindest scheint es so. Vermutlich sind sie aber nur im großen Rauschen der Gleichgültigkeit untergegangen.

Mein Herz ist müde geworden, müde von den täglichen präsentierten Ereignissen, die es wütend oder gar traurig machen müssten. Wenn man sich alles Gute im Menschen als eine bis zum Rand gefüllte Wanne vorstellt, dann muss irgendjemand vor Jahren den Stöpsel gezogen haben und die einst so prall gefüllte Wanne verliert nun Stunde für Stunde an Inhalt, während die Quelle für Erneuerung nur ein tropfender Wasserhahn ist. Nachrichtensendungen bestehen 15 Minuten lang aus all dem Schlechten was auf der Welt passiert und am Ende wird noch ein neugeborenes Tigerbaby präsentiert um den Menschen ein gutes Gefühl zu vermitteln, oder gar das Aufkeimen hinterfragender Gedanken zu dämpfen. Schließlich soll man ja nicht verdrießlich in den Prime-Time Film gehen.

Mein Bauch ist müde geworden, müde von der täglichen Arbeitslosigkeit bezüglich des Treffens von Entscheidungen. Es ist lange her, dass ich mein Bauchgefühl in eine Entscheidungsfindung einbezogen haben. Dabei hat mir in früheren Jahren gute Dienste geleistet bei dieser Aufgabe. Stets war auf ihn Verlass, viele gute Entscheidungen haben wir zusammen gefällt. Bauchgefühl sollte man an dieser Stelle nicht mit Spontanität verwechseln. Es waren durchaus langwierige Entscheidungsprozesse, man könnte sogar von Diskussionen sprechen. Denn es ist gar nicht so einfach, das richtige Bauchgefühl zu erkennen. Da gibt es eine Menge an Nebengefühlen die man erst einmal verstehen und wegfiltern muss. Dieser Bauchgefühlsprozess ist zeitintensiv.  Zeit die man heute nicht mehr hat. Wir entscheiden wen wir gut finden oder nicht per Wischgeste in einer App, kaufen Produkte auf Basis von Sternebewertungen, tun Dinge weil sie #trenden und adaptieren die Meinung der Mehrheit, weil es so schwer fällt eine eigene zu bilden und diese auch zu behalten.
Meine Füße sind müde geworden, müde von den steinigen Wegen, den ungegangenen Pfaden derer, die anders Denken. Müde vom "Für etwas Einstehen", müde vom Standhaft bleiben. Die Allgemeinheit hat eine große Anziehungskraft, wie ein schwarzes Loch, dass alles in seinen Sog der Gleichheit und des Gleichdenkens hineinzieht. "Meinungsfreiheit" ist nur noch ein schwaches Echo in den Bergen der Erinnerung und alles Unkonforme wird sogleich von neuesten Geschwür der Menschheit, dem Shitstorm, angefallen. Ist es nicht paradox, dass die sozialen Netzwerke entlarven wie unsozial wir sind?

Meine Ohren sind müde, müde von der Lautstärke dieser Welt. Müde vom unsäglichen Android Pfeifton der always online Generation, dem unfreundlichen Geblubber des S-Bahn Personals, das gestern noch am Seminar zur Freundlichkeitsoffensive teilgenommen hat, lauten Gesprächen, Smartphones die als Ghettoblaster vergewaltigt werden, vom Hupen des "Hintermanns", weil man nicht noch nicht bei Gelb losgefahren und von den losgetretenen Beschwerden der Genderaktivisten, die an dieser Stelle betonen möchten, dass es auch Hinterfrauen sein könnten. Ich sehne mich nach Ruhe. Ich rede nicht von CD's mit Waldgeräuschen, von Yoga-Kursen oder Thai-Massagen. Ich will echte Ruhe. Die Ruhe des Hafers, der meine Handflächen berührt während ich durch das Feld spaziere. Die Ruhe eines Plastikdeckels, der am Hinterrad eines Kinderfahrrads klappert, während es den Gehweg entlang fährt und die Ruhe die das Lachen und die strahlenden Augen des Kindes erzeugt, dass sich über den klappernden Plastikdeckel an seinem Fahrrad freut.

Vielleicht trage ich meine Haare doch lieber offen, meinem Papa hat das immer gefallen und ihm will ich heute schließlich gefallen. Vor nicht ganz 3 Jahren wurde bei ihm Demenz diagnostiziert. Er war für mich immer jemand zu dem ich aufschauen konnte, auch ganz abseits von kindlicher Glorifizierung. Umso schwerer fällt es jetzt ihn so leiden zu sehen. Er ist in letzter Zeit sehr wütend, wütend auf sich selbst, wütend weil er Dinge vergisst, manche nur kurzzeitig, manche für immer. Während alles um ihn herum älter wird, wird er immer "jünger", weil die weiter zurückliegenden Erinnerungen wieder kehren und die kürzlich erlebten Dinge verschwinden. Es wird der Tag kommen, an dem er in mir nicht mehr seine kleine Fran sieht, sondern eine fremde Frau, weil er in einer Erinnerung angekommen ist, in der er noch keine Tochter hat.

Das Leben besteht aus Gezeiten. Gezeiten der Veränderung. Veränderungen die dir, wie die Flut, die Beine wegreißen und du kämpfen musst um nicht unterzugehen. Veränderungen, die sich so rar machen wie das Wasser bei Ebbe, wo man um jeden Neuanfang ringen muss, weil einen sonst die Dürre der Gewohnheit vertrocknen lässt. Wenn das Älterwerden für eine Sache gut ist, dann das man lernt mit den Gezeiten besser umzugehen. Sich für die Ebbe einen Vorrat anlegt und für die Flut einen Anker zulegt, der einem hilft den Halt nicht zu verlieren.


Mittwoch, 26. November 2014

Für Isabell

Ich bin kein Fan von Zahlen. Ich kann mir nichts schlechter merken als Zahlen und Daten. Mit 13 hätte ich beinahe mein erstes offizielles Date verpasst, weil ich mir nicht merken konnte mit welcher Buslinie ich fahren sollte und vor allem nach wie viel Stationen ich hätte aussteigen sollen. Ich bin dann einfach gelaufen, denn orientieren wiederum kann ich mich sehr gut. Auch Geburtstage sind nichts was mir im Gedächtnis haften bleibt, das bekommt meine Verwandtschaft leider regelmäßig zu spüren. Es gibt nur ganz ganz wenige Zahlen und Daten die sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben. Eine(s) davon ist der 19.August 1989.

Ich machte zusammen mit meinen Eltern zu dieser Zeit Urlaub am Plattensee, die meisten kennen ihn wohl eher als Balaton. Im Prinzip war der Balaton das Mallorca für DDR Urlauber. Man musste einfach wenigstens einmal dort gewesen sein. Im Gegensatz zu den Balaton-Urlaubern aus Westdeutschland konnten sich viele DDR Bürger keine Hotelunterkunft leisten und so war man auf den Camping-Plätzen quasi unter sich. Da meinen Eltern die "kulturelle Note" auch im Urlaub immer sehr wichtig war wurde mein Traum von 2 Wochen Strand und Badespaß sehr schnell von der harten Realität der Städtebesichtigungen verdrängt.

Bei einem dieser Ausflüge in ungarische Hochburgen der Kultur wurde uns von anderen DDR Bürgern ein Flugblatt in die Hand gedrückt. Ich habe leider nie erfahren was genau auf dem Zettel stand, aber meine Eltern erzählten mir viele Jahre später etwas vom "Paneuropäisches Picknick". Dieses Picknick sollte in 3 Tagen stattfinden. Ein Begegnungsfest bei dem für wenigen Stunden die Grenze zwischen Ungarn und Österreich symbolisch geöffnet wird. Zurück auf dem Camping-Platz führten meine Eltern viele Gespräche mit anderen DDR Campern über den Inhalt des Flugblatts. Mein Bruder und ich waren einfach nur froh wieder am Strand zu sein.

Am Morgen des 19. August offenbarten unsere Eltern mir und meinem Bruder ihre Gedankenspiele zusammen mit den anderen DDR-Bürgern, die sich in Sopron auf dem Festplatz einfinden werden, während dieses paneuropäischen Frühstücks nach Österreich zu flüchten. Auch wenn als 9-jähriges Mädchen das Vertrauen in meine Eltern grenzenlos war, so konnte ich mir natürlich nicht ausmalen was das für uns bedeuten würde. Wir fuhren mit unserem Lada zur Mittagszeit nach Sopron. Meine Eltern hatten unsere Papiere, etwas Bargeld und nur ganz leichtes Gepäck dabei. Ich hielt meinen Lieblingsteddybär ganz fest im Arm. Als wir ankamen waren schon einige 100 andere DDR Bürger auf dem Festplatz. Es herrschte eine latente Unruhe unter den Wartenden. Neben uns stand eine andere Familie. Sie hatten auch eine Tochter und einen Sohn. Das Mädchen sah älter aus als ich und war aber gleichzeitig einen halben Kopf kleiner als ich. Sie hatte einen ähnlichen fragenden Blick voller Ungewissheit wie ich. Sie kam ein paar Schritte auf mich zu und fragte wie ich heiße. "Fran", sagte ich. "Das ist aber ein komischer Name", sagte sie unglaubwürdig und dabei grinsend. "Ich heiße Isabell. Was hältst du davon wenn ich auf dich aufpasse und du auf mich?". Ich nickte stumm. 

Nur Augenblicke später setzte sich die versammelte Menschenmasse in Bewegung. Ca. 600 Personen waren es, wie ich später einmal erfuhr. Wir bewegten uns alle auf das Grenztor zu. Aus Gehen wurde Rennen und ich verlor zunächst Isabell aus den Augen und dann den Kontakt zur Hand meines Vaters. Ich blieb für einen Augenblick stehen, wurde angerempelt und mein Teddybär viel zu Boden. Eine Hand griff nach ihm und drückte ihn mir wieder in den Arm, es war Isabells Hand. Mit dieser ergriff sie nun meine Hand und so rannte ich an ihrer Seite, zusammen mit ihrer Familie die letzten Meter, bis wir schließlich die Grenze überquert hatten und ich auf der österreichischen Seite überglücklich meine Eltern wiederfand.

Die Ereignisse danach sind nur noch verschwommen, aber von dieser Flucht und den Tagen davor träume ich noch heute regelmäßig. Ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen, aber ich vermute das trotz der historischen Bedeutung auch dieses Datum nur eines unter unzählig vielen für mich geworden wäre, wenn ich an diesem Tag nicht Isabell kennengelernt hätte. Neben meiner Mutter gibt es wohl keine Frau die mein Leben so nachhaltig beeinflusst und geprägt hat wie sie. In den Jahren nach der Flucht blieben wir über Briefe in Kontakt und besuchten uns in den Ferien so oft es ging. Irgendwann gab es ja auch dann bei uns endlich ein Telefon und wir konnten uns ab dann jeden Tag sprechen. Wir waren wie Schwestern, nur noch enger mit einander verzahnt. Wir konnten uns bei Liebeskummer gegenseitig die Ohren voll heulen und über den selben Typen lästern auch wenn die andere von uns ihn im Grunde genommen ganz süß fand. Wenn ich ehrlich bin, ohne Isabell könnte ich vermutlich heute noch nicht richtig küssen ;-).

In den letzten 10 Jahren haben wir so ziemlich jeden Blödsinn miteinander durchgemacht den man sich nur vorstellen kann und waren immer für einander da, wenn der andere mal tief in der Scheisse Tinte gesessen hat. Wenn ich da nur an deinen Ablenkungsflirt mit dem Polizisten denke schlackern mir heute noch die Ohren.

Zwischen Berlin und Porto Alegre liegen über 11,000 km ist dir das eigentlich klar? Ja natürlich gibt es Skype, Facetime und Co. aber kann das eine Lass-dich-drücken-dann-wird-alles-wieder-gut-Umarmung übermitteln? Wie viel Spontanität, Situationskomik und blindes Verständnis kann so eine Fernfreundschaft denn enthalten? Entschuldige meine Skepsis. Ich weiß um deinen Traum, ich habe ihn dir ja selbst vor Jahren als Idee ins Ohr gelegt.
Die Kinder dort vor Ort brauchen dich und Du und dein Wirken sollen ein Segen sein, für diese Kinder.

Liebste Isabell, ich werde mir nie merken können wann du Geburtstag hast oder dein Hochzeitstag ist, aber ich werde nie vergessen wann ich dich kennengelernt habe. Es war der 19. August 1989.

Montag, 30. September 2013

Über Abschiede - Teil 1

Es ist vollbracht. Endlich kann ich die Füße hoch auf die Kingsize-Couch auf meiner Veranda legen und verträumt über den Sinn des Lebens sinnieren und dabei ab und an ein Schluck von meinem Rotwein trinken, draußen geht gerade die Sonne unter und das Haus wirft einen beschützenden Schatten auf mich. Es ist ein herrlicher 30.September 2014.

Es könnte so schön sein, aber leider ist heute erst der 30.September 2013 und ich sitze hier in eingestaubten Arbeitsklamotten und meine Kingsize Couch ist nur kleiner hölzernen Klappstuhl und meine Finger sind vollgeschmiert mit Tapetenkleister und Spachtelmasse während sie diese Zeilen schreiben und ab und an nach dem kühlen Bier greifen das neben mir auf dem Boden steht.

Auch wenn ich äußerlich ziemlich fertig aussehe, verspüre ich in meinem Inneren eine unglaubliche Zufriedenheit. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, das handwerkliche Arbeit mir solch einen Spaß macht. Als Außenstehende habe ich Handwerker immer bewundert für ihr Können und auch für ihren Ideenreichtum wenn etwas nicht funktioniert. Mein Vater ist so ein Handwerker. Ich kann mich nicht erinnern, das es etwas gegeben hätte was er nicht reparieren konnte. Er hatte irgendwie immer ein Verständnis dafür wie die Dinge funktionieren. Ich kann mich noch erinnern wie es war als ich klein war und bei uns zu Hause etwas kaputt ging. Zuerst zog er immer sein Brille von der Stirn auf die Nase. An den Bügeln seiner Brille war immer eine dieser Schnüre befestigt, die man um den Hals trägt damit die Brille nicht runterfallen kann. Ich kann mich aber nicht erinnern das die Brille jemals an der Schnur nach unten vor seinem Bauch hing, sie war immer auf der Stirn, oder auf der Nase.

Nachdem er die Brille auf der Nase hatte, schaute er sich den kaputten Gegenstand an, seufzte und schaute dann nochmals auf den Gegenstand, wobei sein Kopf sich immer in eine merkwürdige Seitenneigung nach rechts begab. Dann durfte ich immer seine Werkzeugrolltasche aus der Abstellkammer holen und den schwarzen abgewetzten Ledergurt öffnen der die Rolltasche zusammenhielt. Er griff sich dann einen Schraubenzieher und öffnete das Gerät. Ich könnte schwören es war immer der selbe Schraubenzieher mit dem roten Griff, egal wie groß oder klein die Schraube auch war, aber vermutlich ist das nur in meiner Erinnerung so. Im Anschluss nahm er einen Finger und zeichnete in der Luft den Weg der elektrischen Leitungen nach oder was auch immer sich in dem Gerät noch befand. Dann schien er gedanklich in eine andere Welt abzudriften, sein Blick war entrückt und ich starrte ihn mit großen Augen voller Bewunderung an. Ich weiß nicht mehr wie lange diese Phase des Nachdenkens ging, aber wenn sie zu Ende war zwinkerte er mir zu und reparierte den Gegenstand wie von Zauberhand. Mein Vater war und ist mein Held.

Er konnte nicht nur Dinge reparieren, er konnte welche erschaffen. Er hat meiner Mama zur Hochzeit ein Haus geschenkt, ein Haus das er ganz allein gebaut hat. Sie wohnen jetzt seit über 35 Jahren in diesem Haus. Wenn ich mir alte Bilder aus dieser Zeit anschaue, dann trug er sogar damals schon die Brille auf der Stirn. Natürlich mit Schnur.


Neulich habe ich meine Eltern besucht in ihrem Haus. Ich gehe immer einmal alle Zimmer ab im Haus meiner Eltern, wenn ich zu Besuch bin. Es ist als würden in jedem Raum die alten Geschichten darauf warten, das ich mich an sie erinnere. Mein Vater war noch draußen Holz hacken und meine Mama setzte Tee in der Küche an. Eigentlich trinke ich nie Tee, aber wenn ich zu Besuch war gab es immer Tee. Meine Mama hat mich nie gefragt ob ich eigentlich Tee möchte oder nicht und ich hab nie gesagt das ich eigentlich keinen Tee trinke, so wurde das Tee trinken bei uns zur Tradition.

Ich ging also durchs Haus und kam in der Wohnstube an. Ich schaute durch den Schleier des Gardinenstoffes und beobachtete meinen Vater einen Moment lang beim Holzhacken. Präzise wie ein Uhrwerk schwang er das Beil und spaltete die Holzscheite mit einem Schlag. Ich wollte gerade das Wohnzimmer verlassen, da fiel mein Blick auf den kleinen Tisch neben seinem Fernsehohrensessel. Dort lag sein Brille. Ich ging näher und betrachtete sie, aber ich konnte keinen Makel daran feststellen. Warum hat mein Vater
also seine Brille nicht auf? Meine Mutter kam mit dem Tee herein und wir tranken ihn wie eh und je.

"Da drüben liegt Papas Brille."

"Oh. Du hast recht. Er hat sie vermutlich vergessen."

"Vergessen? Papa hat noch nie seine Brille vergessen,
er und die Brille sind doch quasi eins."

Ich nahm die Brille vom Tisch, rannte die Treppe hinunter und durch die Tür zum Innenhof. Ich rannte als ginge es um Leben und Tod.

"Hier Papa dein Brille" fing ich an zu rufen, obwohl ich noch rund 10 Meter von ihm entfernt war. Er ließ die Axt sinken und schaute etwas verdutzt in meine Richtung. Es war aber nicht diese Form von Verdutztheit in der man sich darüber wundert was gerade passiert ist. Für einen Moment wirkte es eher so als müsste er überlegen wer ich bin, bevor er mich herzlich in den Arm nahm und zur Begrüßung einen Kuss auf die Stirn gab, wie er es immer tat, seit über 30 Jahren.

Er setzte die Brille auf seine Stirn, legte die Schnur in seinen Nacken und fing wieder an Holz zu hacken. Meine Mama war nun ebenfalls bei mir eingetroffen und zog mich ein Stück beiseite. Ihre Augen waren feucht glänzend. Sie brauchte es nicht auszusprechen, was ihr in diesem Augenblick soviel Kummer bereitete. Mein Vater leidet an Demenz, die Ärzte haben es inzwischen bestätigt.


Mein Vater war nie jemand der viel Aufhebens über Gefühle und den Tod gemacht hat, ihm wäre es am liebsten er würde während seiner Arbeit einfach tot umfallen, das wäre für ihn ein ehrenhafter Tod. Das er sich nun mit diesem schleichenden Verfall auseinander setzen muss macht ihm mehr zu schaffen als alles andere. Ich weiß das die Krankheit irgendwann zum Tod führen wird, aber auf dem Weg dahin wird es noch viele schwierige Situationen geben, die es zu überstehen gilt. Jeder Tag wird ein Abschied sein von kleinen Dingen, Fähigkeiten oder Erinnerungen. Irgendwann wird der Tag kommen wo er nicht mehr weiß wer ich bin, an diesem Tag werde ich von seiner Tochter zu einer Fremden. Mein Herz krampft sich zusammen vor Trauer um diese Gewissheit, das der Tag kommen wird, an dem er mir keinen Kuss mehr auf die Stirn geben wird, weil er nicht mehr weiß das ich seine kleine Fran bin.

Zum ersten Mal in seinem Leben gibt es etwas das mein Vater nicht reparieren kann und ausgerechnet diese eine Sache wird sein Tod sein. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als das es irgendwann jemand geben wird der Demenz reparieren kann um allen anderen Menschen auf dieser Welt davor zu bewahren.

Donnerstag, 8. August 2013

Miss Daisy und der Optimismus

Ich bin ein optischer Mensch. Dinge die ich nicht sehen oder berühren kann sind für mich nur schwer begreifbar. Daher habe ich es mir angewöhnt, solche Dinge in etwas für mich Sichtbares umzuwandeln. Optimismus zum Beispiel, stelle ich mir immer als einen 93-jährigen Mann vor, der in ein Autohaus geht und beim Kauf eines Wagen auf Ratenzahlung besteht.

In etwa genauso handhabe ich es mit meinem Aneurysma. Es ist da, aber ich kann es nicht sehen und nicht fühlen, aber es ist ein Teil von mir mit dem ich leben muss. Also habe ich beschlossen "ihm" einen Namen zu geben. Ich nenne es Jona. Dadurch habe ich die Möglichkeit es je nach Gefühlslage in etwas männliches oder weibliches zu verwandeln. Ich gebe zu Jona muss ziemlich oft herhalten, wenn irgendwas in meinem Leben nicht so läuft wie es soll, aber ich habe auch Dinge erlebt und getan die ich ohne Jona wohl nicht durchgezogen hätte.

Neulich war ich zum Beispiel aus mit meinen Freunden. Wenn ich etwas besonders an meinem Freundeskreis mag dann die Tatsache das sie ähnlich denken wie ich und wir uns daher nie groß verabreden müssen. Wir treffen uns meist einfach so an unseren Lieblingsorten ohne das wir vorher über Uhrzeit und Anzahl der Personen reden. Wir haben irgendwie das selbe Gefühl für passende Momente und schöne Orte und sehen keine Verpflichtung darin gemeinsam begonnene Abende auch gemeinsam beenden zu müssen. Dadurch haben vor allem die Singles die Möglichkeit sich ohne schlechtes Gewissen aus der Gruppe zu entfernen und ihrem "Jagdtrieb" nachzugehen. 

Flirten ist für mich immer wie Tennis. Wenn man einen geeigneten Spielpartner gefunden hat, beginnt man sich die Bälle zu zu spielen und nach besten Kräften den Return ins gegnerische Feld zu bringen. So hält man das Gespräch am laufen. Man sollte aber auch ein paar Asse schlagen, das erzeugt Eindruck beim Gegenüber. Je mehr Bälle ins Netz oder gar ins Aus gehen, desto schneller ist das Spiel beendet weil einer der beiden Spieler keine Lust mehr hat und weiter zieht zum nächsten Spielfeld.

Es liegt vielleicht in der Natur der Sache oder auch einfach nur an mir selbst, aber es ist eher selten das ich Männer zuerst anspreche. Dementsprechend ist mein erster Aufschlag eher dürftig und so freue ich einfach über jeden Ball der es übers Netz schafft. 

Mein Gegenüber war ein Typ mit Bart. Der Bart, sagen Psychologen – und diese Erkenntnis hatte schon einen Bart, als es noch gar keine Psychologen gab –, der Bart gilt als Zeichen von Macht und Männlichkeit. Ein Bart ist wie eine zweite Frisur, nur halt im Gesicht. Es ist Eigentlich ein Unding, dass nur Männer in den Genuss einer Zweitfrisur kommen, steckt doch soviel Potenzial in ihr. Wenn ich übrigens etwas einen Bart nenne, dann meine ich damit nicht diese kleinen ausgemärgelten Kinnbärtchen oder diese stoppelligen 3-Tage-Bärtchen die sich beim Kuscheln wie Schleifpapier auf der eigenen Haut anfühlen. Ein Bart
ist für mich ein Vollbart. Und mein Gegenüber hatte nun einen solchen Vollbart.

Er saß an einem der Tische in der Ecke und trank seinen Cocktail. Er saß dort allein an diesem Tisch, er schaute weder lüstern irgendwelchen Frauen hinterher noch verlor sich in irgendeine Belanglosigkeit auf seinem Smartphone um Beschäftigung vorzutäuschen. Stattdessen hatte er einen Stift in der Hand und machte sich offenbar Notizen oder etwas ähnliches in einen Block.Ab und zu hielt er inne und schaute auf, dann lächelte er mit den Augen und senkte wieder den Kopf.

Ich beobachtete ihn eine ganze Weile und während dieser Beobachtung habe ich offenbar irgendwie schwebend die Strecke von meinem Platz zu seinem Tisch zurückgelegt, denn plötzlich stand ich vor ihm und schaute ihm weiter zu. Es waren keine Notizen die er machte. Er zeichnete Menschen. Die Bedienung wie sie die Scherben eines zerbrochenen Glases aufhob, den Barkeeper beim mixen von Cocktails und viele kleine Situationen die sich offenbar zwischen den Besuchern heute Abend abgespielt haben.

"Hallo, du hast einen schönen Bart"   *gedanklicher facepalm*

Er blickte auf und grinste.Ich habe noch niemals im Leben so ein schönes Grinsen gesehen, es war so rein und ehrlich.

"Hallo, ich heiße Max, willst du dich setzen?"

Ich setzte mich.

"Warum setzt du dich hier hin und malst Menschen?
Gäbe es draußen nicht viel besserer und schönere Motive?"

Er sagte nichts, kramte in seinen Skizzen nach einem bestimmten Bild und reichte es mir.

"Das bin ja ICH".

Das Bild zeigte mich wie auf meinem Platz saß, die Beine übereinander geschlagen. Ich streife mir gerade mit der linken Hand eine  Haarsträhne aus dem Gesicht während meine Zunge zaghaft meine Oberlippe benetzt oder vielleicht die letzten Tropfen des Cocktails schmeckt dessen Glas  ich in der rechten Hand halte. Die Szene ist vielleicht 2 Stunden her.

"Subjektive Schönheit kennt keinen Ort, keine Zeit,
keine Umstände. Subjektive Schönheit ist immer da und ich
versuche sie festzuhalten wann immer ich sie sehe."


"Hast du vielleicht Lust zu tanzen?"

"Wenn ich tanze, dann nur mit Miss Daisy".

"Oh ich wusste nicht das du..."

und war im Begriff wieder aufzustehen. Er aber grinste wieder. Er schob sich vom Tisch und kam zu mir herüber. Aber er ging nicht, nein er rollte. Er klopfte auf die Armlehnen seines Rollstuhls und sagte:

"Darf ich vorstellen, Miss Daisy."

"Hallo Miss Daisy, mein Name ist Fran".

Max und ich grinsten uns an.

"Aber wenn du nicht allein unterwegs bist, dann bringe ich auch noch jemanden mit."

Jetzt war er es der verduzzt guckte. Ich klopfte auf meinen Kopf und sagte:

"Da oben drin sitz mein Aneurysma und ich nenne es Jona".

Wir schauten uns die Augen, grinsten, nahmen uns an die Hand und gingen/rollten auf die Tanzfläche. Und so tanzten wir zu viert bis in den Morgen, Max, ich, Miss Daisy und Jona. 

Ich hatte das Gefühl das könnte ewig so gehen und auf einmal sah ich am Türrahmen angelehnt stehend den 93-jährigen Mann namens Optimismus mit einem fröhlich gepfiffen Lied auf den Lippen und dem Autoschlüssel in seiner Hand.

Er zwinkerte mir zu. Und ich? Ich hatte verstanden.

Dienstag, 16. Juli 2013

Überleben nicht ausgeschlossen

"Machen Sie etwas ruhiger Fran. Reduzieren Sie den Stress und überdenken Sie ihr Rauchverhalten."

Stress treibt mich an, macht mich produktiv und kreativ. Ich reduziere meinen Stress schon selbst durch rauchen und wenn ich mal nicht rauchen kann, dann stresst mich das. Wenn ich den Stress und das Rauchen nicht mehr habe, was bleibt dann noch von mir? Vermutlich nicht mehr als ein Stück Formfleisch in der großen Konservendose der Mittelmäßigkeit.


Es ist Montag und ich sitze in einem Meeting. Es ist eines dieser Montagsmeetings wo man noch mal das erörtert, was man am Freitag im Abschlussmeeting festgehalten hat und feststellt das sich zwischen Freitag und Montag nicht viel getan hat.

Während mein Blick dem Szenario entrückt und meine Ohren das plagative Anpeitschen des Redners als dumpfes Rauschen wahrnehmen vertieft sich mein Körper in eine Art Trancè in der versucht einen schlafähnlichen Zustand zu erreichen.
Mein ganzer Körper? Nein nicht ganz, das kleine gallische Dorf namens Herz leistete erbitterten Widerstand, schrieb fleißig seinen eigenen Bullshitbingozettel, spitzte die atmosphärischen Antennen und hielt den Stift im Anschlag.

die Prognosen....<rauschen>...mit Sicherheit....<rauschen>...planen müssen...<rauschen>...überleben...<rauschen>...Zuversicht

B I N G O

Doch es gab nicht die übliche heimliche Beckerfaust unter dem Konferenztisch gepaart mit dem zufriedenen Zurücklehnen in den Stuhl, denn mein Körper war ja noch in Trance und weil das Herz keinen Mund hat mit dem es reden kann setzt es die letzte Waffe ein die ihm geblieben ist, Emotionen.
Ich weiß nicht wie lange mir die Tränen über die Wangen liefen bevor es jemand mitbekommen hat. Ich spürte das das Rauschen in meinen Ohren verstummte, normalerweise das untrügliche Anzeichen dafür das das Meeting zu Ende ist.

"Hey Fran,alles in Ordnung mit dir?" 

"Ja na klar, ich vertrag nur die Klimaanlage nicht"
"Bist du sicher?"

"Ja,wieso?"

"Weil dieser Raum keine Klimaanlage hat".

Ich blicke in fragende Gesichter, packe meine Sachen zusammen und verlasse den Raum wortlos.

"Machen Sie etwas ruhiger Fran. Reduzieren Sie den Stress und überdenken Sie ihr Rauchverhalten. Versuchen Sie einfach bewusster zu leben, dann besteht auch ohne Operation eine reelle Chance ein langes Leben zuführen."

"Bewusster Leben? Ist das dieses 32-mal kauen vor dem runterschlucken?" 

Manche Augenblicke kommen uns nur deswegen länger vor weil unser Blick und unser Herz ihnen noch hinterherschauen. Ich freue mich über einen Cent den ich auf der Straße finde, wenn ich schaukel spüre ich noch immer das Kribbeln in meinem Bauch. Wenn ich eine Wiese sehe, muss ich barfuß darüber laufen und wenn ich gute Musik im Ohr habe dann tanze ich, egal wo ich bin.

Wenn das auch "bewusster Leben" ist, dann ist das Überleben wahrhaftig nicht ausgeschlossen.

Donnerstag, 4. Juli 2013

Die Schönheit der Chance

Es gibt Gerüche die wecken sofort Erinnerungen. Wenn ich zum Beispiel Zimt rieche denke ich immer daran wie ich meine Oma als kleines Kind in ihrer Backstube besucht habe. Bei dem Geruch von Leder erinnere mich mich oft an den allerersten Sattel den ich besaß. Ich habe nie in meinem Leben ein Pferd geritten. Ich habe festgestellt das ich Angst vor Pferden habe, aber ich liebe immer noch Sättel.

Leider kann man nicht alle Gerüche mit positiven Erinnerungen verbinden, weil sie eben ganz speziell sind. Der Geruch von Krankenhäusern zum Beispiel erinnert mich nur an eine Sache: Krankenhäuser. Es ist von jeher diese Mischung aus Desinfektionsmittel, Crocs-Sohlen-Gummiabrieb und Großkantinenessen die mich innerlich erschaudern lässt. 

Magnetresonanztomographie. Ich liebe solche vielsilbigen Wörter, das schönste mir bekannte vielsilbige Wort ist aber immer noch достопримечательность
(Dostoprimelschatjestnoch) zu deutsch Sehenswürdigkeit und gleichzeitig das einzige russische Wort was ich noch in kyrillischer Schreibweise beherrsche.
Worte können auch Erinnerungen vorrufen, aber nicht jetzt. Nicht jetzt wo ich hier vor dem MRT stehe.

Die Röhre erinnert mich an eine Mischung aus Flugzeugturbine und Warp-Kern der Enterprise. Je länger ich auf diese Maschine starre um so mehr kommen mir Zweifel ob mein Körper dort wirklich hinein in dieses 60 cm große Loch passt. Innerlich hoffe ich sogar das mein Körper jetzt ohne ersichtlichen Grund anschwillt damit er nicht hinein passt.

Mit mir im Raum ist der durchführende Assistenzarzt. Er heißt Charly. Zumindest stelle ich mir vor das er Charly heißt. Ich gehe gerne durch volle Fußgängerzonen, beobachte dabei einzelne Menschen ganz gezielt und überlege mir welchen Namen sie wohl haben.

Ich lege mich in Unterwäsche auf die Auflage, sie fühlt sich kalt an, die kleinen Härchen an meinen Armen stehen in Hab-Acht-Stellung. Vom Kopf her ist es unangenehm, der Nacken verspannt sich, man legt mir noch ein kleines Kissen unter den Kopf, aber mehr geht nicht. Charly gibt mir eine Art Ball in die linke Hand, den ich wenn irgendetwas ist, drücken soll. Neugierig wie kleines Kind drücke ich direkt drauf - es passiert nichts.

"Sie müssen fester zudrücken" sagt der Assistentsarzt. " Das letzte Mal das mir ein Mann gesagt hat das ich fester zudrücken soll während ich einen seiner Bälle in der Hand halte ist schon ein paar Jahre her" antworte ich. Er lacht, ich nicht. 

Dann werde ich langsam in die Röhre hinein geschoben. Die Fahrt kommt mir wie eine Ewigkeit vor und für einem Moment kann ich nicht unterscheiden ob die lauten Klopfgeräusche von meinem Herz oder vom MRT kommen. Während der Messungen herrscht in der Röhre ein ziemlicher Radau unterschiedlicher Intensität. Mal klingt es so wie eine Alarmsirene in Science-Fiction-Filmen, mal wie Musik der australischen Aborigines dazwischen herrschen immer mal kurze Pausen, in denen ich mich bewegen darf. "Sie haben gewackelt." Kunststück, die Liege hat angefangen zu vibrieren. Ich versuche meinen Körper mit aller Kraft starr werden zu lassen.

Nie im Leben zuvor haben sich 15 Minuten so lang angefühlt. Ich bin froh das ich die Röhre jetzt verlassen kann. Ich gehe zurück in die Kabine und ziehe meine Klamotten wieder an. Endlich wieder ein Stück Vertrautheit.

Der Weg aus dem Untersuchungsraum zurück vor die Pforten des Krankenhauses zieht sich wie Rolltreppe die man in die verkehrte Richtung benutzt.

"Hallo Welt und Goodbye Krankenhausgeruch" rufen meine Bronchien. Ich belohne sie für Ihre Tapferkeit mit ein paar tiefen Zügen an der Zigarette. Ich setze die Kopfhörer auf, schalte die Musik ein bewege mich tanzend davon zu den Zeilen von Tomte:

Die Schönheit der Chance, 
Dass wir unser Leben lieben 
So spät es auch ist... 
Das ist nicht die Sonne die unter geht, 
Sondern die Erde die sich dreht

Montag, 1. Juli 2013

Wenn das Leben sich beeilt

Hallo, ich heiße Fran Niclas und das hier ist mein Blog.


Kennen Sie das auch? Sie suchen eigentlich nur nach einem bestimmten Buch, gehen auf den Dachboden und wühlen in Kisten und Kästen und plötzlich kommt Ihnen ein Stapel Jugenderinnerungen entgegen. Das Fahrrad mit den Bändern am Lenker und dem weißen Sattel, Opas Gitarre die immer versucht hat mit seinen kleinen Kinderhänden zu spielen aber es doch nie wirklich geschafft hat.

Ich liebe meine Erinnerungen. Eines Tages werden sie das Einzige sein, was mir geblieben ist und irgendwann werden sie auch das Einzige sein was von mir geblieben ist.

Ich weiß es zu schätzen das mir mein Gedächtnis wie auf Kommando nur die guten Erinnerung präsentiert und die Schlechten nur gelegentlich in verblasster abgeschwächter Form. "Das ist ein Schutzmechanismus des Gehirns" habe ich in der Schule gelernt. Ein Mechanismus der bei Rückblicken immer zu der Aussage führt: "Wo ist bloß die ganze Zeit geblieben". Dann hält man kurz inne, richtet seinen Blick nach vorn und ist bisweilen erleichtert das man ja noch so viele lebenswerte Jahre vor sich hat.


Weil die Zeit sich so beeilt 
und so wenig bleibt von dem was einmal war
Und weil das Licht so leicht zerbricht
sehen wir die Dinge manchmal selten sonderbar 
(Olli Schulz)


Als ich heute morgen aufgewacht bin war mir nach weinen zu mute. Aber ich konnte nicht, ich hatte schon alle Tränen aufgebraucht. in der Nacht und dem Tag  davor und dem Tag davor... 

10:47 an sich eine gewöhnliche Uhrzeit wie man sie jeden Tag antrifft und der man keine größere Bedeutung beimisst. Doch für mich hat sich Freitag um 10:47 alles verändert.

Ich habe ein Aneurysma. An (m)einer Hirnschlagader. Arteria communicans anterior wie der Lateiner zu sagen pflegt. Im Nachhinein mutet es schon dreist makaber an das man ausgerechnet diese tote Sprache für diese lebenswichtigen Bestandteile verwendet.



Copyright: Klinikum-Dessau.de

Eigentlich bin ich sehr einfach gestrickt. Was ich denke das sage ich und was ich fühle zeige ich. Doch im Moment kann ich weder sagen was ich denke noch zeigen was ich fühle. Ja okay da ist diese Traurigkeit, aber sie fühlt sich eher wie ein nasser Pelzmantel an der schwer auf meinen Schultern liegt und mich lähmt mit seinem Gewicht und betäubt mit seinem modrigen Geruch...

Ich hatte mal einen Plan für mein Leben, in manchen Bereichen zwar nur schwach umrissen, aber immerhin. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von über 80 Jahren ist es wohl durchaus legitim sich ein paar Gedanken darüber zu machen was man noch alles erreichen, bereisen, erleben will. Macht doch jeder...

Als kleines Kind habe ich mir eine Vorspultaste für meinen Leben gewünscht weil ich möglichst schnell Erwachsen werden wollte. Offenbar gibt es diese Taste tatsächlich und irgendjemand hat drauf gedrückt, am Freitag um 10:47.

Wenn das Leben sich so beeilt, ist es schwierig nicht gehetzt zu wirken und Altersvorsorge wird zu Nelson in Menschengestalt und pariert alle meine Erwartungen mit einem alles zerschmetternden "HA HA".


Whatsapp Nachricht:

" Hey Franny hast du Lust morgen mit mir zu frühstücken?"
"Warum nicht lieber heute?"

*Klank Klank* macht das Benzinfeuerzeug während ich es öffne, gefolgt von einem leisen "Pfump" als die Flamme sich empor hebt. Ich tauche die Zigarettenspitze in die Flamme und vernehme das vertraute Knistern des glühenden Tabaks. Meine Hand umgreift die Türklinke und ich schreite durch die Tür raus in den Tag.

Das Leben steht nicht still und hat Erwartungen an mich, ebenso wie die Personen die in meinem Leben vorkommen.