Hallo ich bin Fran Niclas und das hier ist mein Blog

Donnerstag, 8. August 2013

Miss Daisy und der Optimismus

Ich bin ein optischer Mensch. Dinge die ich nicht sehen oder berühren kann sind für mich nur schwer begreifbar. Daher habe ich es mir angewöhnt, solche Dinge in etwas für mich Sichtbares umzuwandeln. Optimismus zum Beispiel, stelle ich mir immer als einen 93-jährigen Mann vor, der in ein Autohaus geht und beim Kauf eines Wagen auf Ratenzahlung besteht.

In etwa genauso handhabe ich es mit meinem Aneurysma. Es ist da, aber ich kann es nicht sehen und nicht fühlen, aber es ist ein Teil von mir mit dem ich leben muss. Also habe ich beschlossen "ihm" einen Namen zu geben. Ich nenne es Jona. Dadurch habe ich die Möglichkeit es je nach Gefühlslage in etwas männliches oder weibliches zu verwandeln. Ich gebe zu Jona muss ziemlich oft herhalten, wenn irgendwas in meinem Leben nicht so läuft wie es soll, aber ich habe auch Dinge erlebt und getan die ich ohne Jona wohl nicht durchgezogen hätte.

Neulich war ich zum Beispiel aus mit meinen Freunden. Wenn ich etwas besonders an meinem Freundeskreis mag dann die Tatsache das sie ähnlich denken wie ich und wir uns daher nie groß verabreden müssen. Wir treffen uns meist einfach so an unseren Lieblingsorten ohne das wir vorher über Uhrzeit und Anzahl der Personen reden. Wir haben irgendwie das selbe Gefühl für passende Momente und schöne Orte und sehen keine Verpflichtung darin gemeinsam begonnene Abende auch gemeinsam beenden zu müssen. Dadurch haben vor allem die Singles die Möglichkeit sich ohne schlechtes Gewissen aus der Gruppe zu entfernen und ihrem "Jagdtrieb" nachzugehen. 

Flirten ist für mich immer wie Tennis. Wenn man einen geeigneten Spielpartner gefunden hat, beginnt man sich die Bälle zu zu spielen und nach besten Kräften den Return ins gegnerische Feld zu bringen. So hält man das Gespräch am laufen. Man sollte aber auch ein paar Asse schlagen, das erzeugt Eindruck beim Gegenüber. Je mehr Bälle ins Netz oder gar ins Aus gehen, desto schneller ist das Spiel beendet weil einer der beiden Spieler keine Lust mehr hat und weiter zieht zum nächsten Spielfeld.

Es liegt vielleicht in der Natur der Sache oder auch einfach nur an mir selbst, aber es ist eher selten das ich Männer zuerst anspreche. Dementsprechend ist mein erster Aufschlag eher dürftig und so freue ich einfach über jeden Ball der es übers Netz schafft. 

Mein Gegenüber war ein Typ mit Bart. Der Bart, sagen Psychologen – und diese Erkenntnis hatte schon einen Bart, als es noch gar keine Psychologen gab –, der Bart gilt als Zeichen von Macht und Männlichkeit. Ein Bart ist wie eine zweite Frisur, nur halt im Gesicht. Es ist Eigentlich ein Unding, dass nur Männer in den Genuss einer Zweitfrisur kommen, steckt doch soviel Potenzial in ihr. Wenn ich übrigens etwas einen Bart nenne, dann meine ich damit nicht diese kleinen ausgemärgelten Kinnbärtchen oder diese stoppelligen 3-Tage-Bärtchen die sich beim Kuscheln wie Schleifpapier auf der eigenen Haut anfühlen. Ein Bart
ist für mich ein Vollbart. Und mein Gegenüber hatte nun einen solchen Vollbart.

Er saß an einem der Tische in der Ecke und trank seinen Cocktail. Er saß dort allein an diesem Tisch, er schaute weder lüstern irgendwelchen Frauen hinterher noch verlor sich in irgendeine Belanglosigkeit auf seinem Smartphone um Beschäftigung vorzutäuschen. Stattdessen hatte er einen Stift in der Hand und machte sich offenbar Notizen oder etwas ähnliches in einen Block.Ab und zu hielt er inne und schaute auf, dann lächelte er mit den Augen und senkte wieder den Kopf.

Ich beobachtete ihn eine ganze Weile und während dieser Beobachtung habe ich offenbar irgendwie schwebend die Strecke von meinem Platz zu seinem Tisch zurückgelegt, denn plötzlich stand ich vor ihm und schaute ihm weiter zu. Es waren keine Notizen die er machte. Er zeichnete Menschen. Die Bedienung wie sie die Scherben eines zerbrochenen Glases aufhob, den Barkeeper beim mixen von Cocktails und viele kleine Situationen die sich offenbar zwischen den Besuchern heute Abend abgespielt haben.

"Hallo, du hast einen schönen Bart"   *gedanklicher facepalm*

Er blickte auf und grinste.Ich habe noch niemals im Leben so ein schönes Grinsen gesehen, es war so rein und ehrlich.

"Hallo, ich heiße Max, willst du dich setzen?"

Ich setzte mich.

"Warum setzt du dich hier hin und malst Menschen?
Gäbe es draußen nicht viel besserer und schönere Motive?"

Er sagte nichts, kramte in seinen Skizzen nach einem bestimmten Bild und reichte es mir.

"Das bin ja ICH".

Das Bild zeigte mich wie auf meinem Platz saß, die Beine übereinander geschlagen. Ich streife mir gerade mit der linken Hand eine  Haarsträhne aus dem Gesicht während meine Zunge zaghaft meine Oberlippe benetzt oder vielleicht die letzten Tropfen des Cocktails schmeckt dessen Glas  ich in der rechten Hand halte. Die Szene ist vielleicht 2 Stunden her.

"Subjektive Schönheit kennt keinen Ort, keine Zeit,
keine Umstände. Subjektive Schönheit ist immer da und ich
versuche sie festzuhalten wann immer ich sie sehe."


"Hast du vielleicht Lust zu tanzen?"

"Wenn ich tanze, dann nur mit Miss Daisy".

"Oh ich wusste nicht das du..."

und war im Begriff wieder aufzustehen. Er aber grinste wieder. Er schob sich vom Tisch und kam zu mir herüber. Aber er ging nicht, nein er rollte. Er klopfte auf die Armlehnen seines Rollstuhls und sagte:

"Darf ich vorstellen, Miss Daisy."

"Hallo Miss Daisy, mein Name ist Fran".

Max und ich grinsten uns an.

"Aber wenn du nicht allein unterwegs bist, dann bringe ich auch noch jemanden mit."

Jetzt war er es der verduzzt guckte. Ich klopfte auf meinen Kopf und sagte:

"Da oben drin sitz mein Aneurysma und ich nenne es Jona".

Wir schauten uns die Augen, grinsten, nahmen uns an die Hand und gingen/rollten auf die Tanzfläche. Und so tanzten wir zu viert bis in den Morgen, Max, ich, Miss Daisy und Jona. 

Ich hatte das Gefühl das könnte ewig so gehen und auf einmal sah ich am Türrahmen angelehnt stehend den 93-jährigen Mann namens Optimismus mit einem fröhlich gepfiffen Lied auf den Lippen und dem Autoschlüssel in seiner Hand.

Er zwinkerte mir zu. Und ich? Ich hatte verstanden.